16 Tage gegen Gewalt an Frauen: #MeineGeschichte
Eine Gemeinschaftsaktion der Frauenzentrale Winterthur und des Frauenhauses Winterthur
Gewalt gegen Frauen ist in den letzten Jahren immer wieder ein Schwerpunktthema in den Medien, in der Wissenschaft oder der Politik. Was dabei aber oftmals in den Hintergrund rückt, sind die Geschichten der einzelnen Personen, die betroffen sind. Diese gehen schlichtweg in einem Strom von Studien, politischen Diskussionen und zugespitzten medialen Beiträgen unter. Die Frauenzentrale Winterthur und das Frauenhaus Winterthur möchten den Betroffenen im Rahmen der internationalen Aktionstage „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ eine Plattform bieten, ihre ganz individuellen Geschichten frei und in einem geschützten Rahmen erzählen zu können. Die Kampagne startet am 25. November 2022 und endet nach 16 Tagen am 'Tag der Menschenrechte', dem 10. Dezember 2022. Die Geschichten werden sowohl in Form von Social Media Beiträgen unter «#MeineGeschichte» als auch auf beiden Webseiten geteilt.
Die Frauenzentrale zeigt mit persönlichen Geschichten aus dem öffentlichen Raum auf, wie die Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft erlebt wird. Das Frauenhaus Winterthur trägt mit vier anonymisierten Geschichten zum Thema häusliche Gewalt dazu bei. Es wurde zum Schutz der Frauen in den Interviews explizit darauf verzichtet, die Gewaltgeschichten zu reproduzieren. Vielmehr wurden Fragen nach Mut, diesen Schritt zu wagen, aus einer Beziehung auszubrechen, die von Gewalt geprägt war, gestellt und sie nach ihren Visionen gefragt mit dem Ziel, die Selbstwirksamkeit der gewaltbetroffenen Frauen zu stärken. Die Interviews wurden im Frauenhaus Winterthur geführt und vollständig anonymisiert. Die Frauen hatten die Möglichkeit, ein Porträt von sich selbst zu zeichnen.
Gemeinsam für eine gewaltfreie Gesellschaft.
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Im Notfall
Polizei 117
Beratungsstelle Frauen-Nottelefon Winterthur Opferhilfe für Frauen und weibliche Jugendliche
Simona
Ich bin ein freiheitsliebender Mensch, es war mir wichtig, dass ich meine Freiheit zurückhabe. Mich nicht mehr einschränken lasse von meinem Ex-Partner. Ich war unter seinem Druck. Kraft schöpfe ich daraus, dass ich es nun geschafft habe, aus der Situation auszubrechen. Manchmal fühlt es sich immer noch ein bisschen wie ein Schock an, dass ich es nach so vielen Jahren tatsächlich geschafft habe, mich zu lösen. Es fühlt sich gut an, ich fühle mich frei. Es bestärkt mich sehr, dass ich das Bedürfnis nicht mehr habe, mich bei meinem Ex zu melden. Da spüre ich meine innere Kraft, dass ich das überwunden habe. Meine wichtigste Bezugsperson ist mein Vater, er steht mir bei. Nun freue ich mich auf den Neustart. Ich freue mich auf das Neue, was kommt, auch wenn ich nicht weiss, was es ist, gehe ich mit offenen Armen darauf zu. Ich wünsche allen anderen Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, dass sie die Kraft haben, sich aus der Beziehung zu lösen. Die Power haben, darüber zu sprechen und sich Hilfe zu holen.
Ariane
Vor dem Aufenthalt im Frauenhaus hatte ich viel Angst. Es ging mir sehr schlecht mit meinem Ex-Mann. Meine Kinder haben mir die Kraft gegeben, den Schritt ins Frauenhaus zu machen. Meine Familie lebt im Irak. Ich habe viel Kontakt, gerade vorher habe ich mit meiner Mama telefoniert. Hier in der Schweiz habe ich Kolleginnen, aber ich kann nicht gut Hilfe annehmen. Auch wenn sie mir angeboten wird. Ich bin froh, dass ich hier im Frauenhaus so gute Unterstützung erhalten habe. Nun freue ich mich auf die neue Wohnung. In den letzten 8 Monaten ist viel passiert. Ich brauche ein bisschen Pause. Ich wünsche anderen Frauen viel Energie, dass sie es auch schaffen.
Liridona
Er hatte kein Respekt für mich. Mein Stolz hat mir die Kraft gegeben, bei der Gemeinde um Hilfe zu bitten, dort wurde ich informiert, dass ich mit den Kindern ins Frauenhaus gehen kann. Ich habe mich selbst entschieden, dass ich ins Frauenhaus gehen möchte. Für ein neues Leben. Für mich und meine Kinder. Meine Schwester steht mir und den Kindern immer bei. Sie gibt mir viel positive Energie. Sie lebt im Ausland, aber Nahe an der Grenze. Meine Mutter lebt in Mazedonien, aber auch sie gibt mir viel Kraft. Die ganze Familie ist gut. Sie bestärken mich darin, für mich und die Kinder zu schauen und die Vergangenheit hinter mir zu lassen. Ich schaue nicht nach unten, nur noch nach oben. Das fühlt sich gut an. Ich bin nun glücklicher. Für andere Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, wünsche ich mir, dass sie zu sich schauen. Für ein gutes Leben. Dass sie einer Person, die keinen Respekt zeigt und nicht gut zu einem schaut, nicht immer wieder eine Chance geben. Sondern für sich denken. Ich bin froh, dass ich mit den Kindern im Frauenhaus sein kann.
Jam Krenare
Heute hat er so fest mit mir geflucht, mindestens 30 Minuten lang. Ich habe stark gezittert und mich sehr unwohl gefühlt. Ich habe Angst, weil er mich bedroht. Innerlich bin ich richtig verletzt. Da wird es mir bewusst:
Ich muss gehen. 6 Jahre habe ich gebraucht, diesen Schritt zu machen. Die Kraft dazu haben mir meine Kinder gegeben. Ich möchte nicht, dass meine Kinder mit einem Gewalttäter aufwachsen. Er hat mir alles genommen, mein Lächeln, mein Selbstbewusstsein. Ich konnte nicht mehr entscheiden. Nichts konnte ich mehr machen. Ich war eine Art Sklavin. Ich musste alles für ihn tun und machen, durfte nichts mitentscheiden. Auch mit den Kindern nicht.
Darum freue ich mich, dass ich nun selbst entscheiden kann. Für mich selbst und auch für meine Kinder. Dass ich mit meinen Kindern ruhig schlafen und ruhig aufstehen kann. Nicht immer dieses Geschrei in der Wohnung und dass die Kinder nicht immer Angst haben müssen. Sich hinter den Tisch verkriechen oder ins Zimmer gehen und seitlich schauen, was läuft jetzt? Was geschieht jetzt? Wie wird Mami jetzt gepackt, was macht er mit ihr?
Ich bin froh, dass das nun fertig ist. Ich bin froh, konnte ich mit meinen Kindern ins Frauenhaus kommen. Hier habe ich von den Fachpersonen viel Unterstützung erhalten, mir wurden die Wege freigemacht. Ich wünsche allen Frauen, die von Gewalt betroffen sind, dass sie den Schritt auch wagen und nicht 6 Jahre warten. Ich habe das Gefühl, 6 Jahre war zu viel für mich.
Janina
Im ersten Jahr meines Studiums habe ich einige Monate in einer Bar gearbeitet, um nebenbei etwas zu verdienen. Die Schichten waren meistens erst um 5 Uhr morgens zu Ende und ich war oft erschöpft. In der Nacht allein nach Hause zu laufen, bereitete mir eigentlich nie Sorgen. Einmal im Winter merkte ich aber, dass an einer wenig beleuchteten Strasse eine Person hinter mir lief und die Schritte immer schneller wurden. Ich wechselte schnell die Strasse und überlegte, ob ich jemanden anrufen könnte und wer noch wach wäre von meinen Freunden. Die Person wechselte auch die Strassenseite und trat neben mich und ich merkte, dass er etwas torkelte und wahrscheinlich angetrunken war. Ich wollte nicht schwach und ängstlich wirken und sah ihn etwas sauer an. Er musterte mich von oben nach unten, fing an zu grinsen, machte eine Bemerkung zu meinen «schönen Beinen» und fragte mich, ob ich mit ihm was trinken möchte. Als ich verneinte und schneller lief, wurde er auch schneller und meinte, ich solle nicht so tun.
Bevor er noch weiter auf mich zu kam, rannte ich los. Er wurde auch schneller und folgte mir bis vor den Hauseingang meiner Wohnung und blieb da stehen. Erst als ich laut nach meinem Mitbewohner rief, entfernte er sich. Ich zitterte am ganzen Körper und fing drinnen an zu weinen. Schlafen konnte ich danach nicht mehr. Meinen Job an der Bar habe ich in der darauffolgenden Woche gekündigt, da ich mich nicht mehr traute, spät Abends allein nach Hause zu laufen. Auch sonst wurde ich sehr unsicher und fühle mich nicht mehr wohl.
Farah
Ich finde es schwierig zu definieren, was Gewalt überhaupt heisst. Besonders, dass man erst einschreitet, wenn es zu Schlägen oder zu einem Tötungsdelikt kommt. Sehr schade, dass wir nicht früher reagieren als Gesellschaft und die Frauen schützen. Aber so ist unser System halt einfach.
Was mich besonders wütend macht, sind junge Männer, die denken, sie können sich alles erlauben. Im Bus sah ich, wie drei junge Männer sehr respektlos über Frauen sprachen und diese als «Schlampen» oder «Nutten» bezeichneten. An einer Haltestelle kamen zwei junge Frauen, vielleicht gerade Mal 15 oder 16 Jahre alt. Einer von den jungen Männern sass vor mir und ich sah, wie sie lachten und Fotos von privaten Körperstellen der jungen Frauen über Snapchat machten und diese an andere sendeten. Das hat mich so aufgeregt, dass ich den einen ansprach und sagte, er solle dies löschen. Er bestritt, dass er Fotos von ihr gemacht hatte und es wurde laut, da ich genau gesehen habe, dass das nicht stimmte. Der Bus war voll und nur eine Frau probierte einzugreifen, aber gelöscht haben sie die Fotos dann trotzdem nicht und ich war enttäuscht, dass viele der Leute eher genervt waren, anstatt dass sie etwas beigetragen haben.
Die jungen Frauen haben sich beim Aussteigen bedankt und meinten, sie kennen diese Jungs und dass es nicht das erste Mal war, dass so was passierte. Dass viele junge Frauen ständig solchen Problemen ausgesetzt sind und niemand reagiert, schockiert mich schon sehr.
Ayla
Heute rege ich mich darüber auf. An einem Weihnachtsessen während der Ausbildung wurde ich neben unseren CEO gesetzt und wir waren in einem gut besuchten Restaurant. Es fing eigentlich recht gemütlich an und wir haben alle gelacht und uns gut amüsiert. Je mehr Alkohol ausgeschenkt wurde, umso ‘offener’ wurden alle. Die Anwesenheit unseres CEOs war eine Rarität und es standen Umstrukturierungen bevor. Die Stimmung vor dem Weihnachtsessen war daher im Büro recht hitzig und es gab Diskussionen unter den Leitungspositionen. Zu dieser Zeit kämpften alle um die Gunst des CEOs. Er selbst, ca. um die 60 Jahre alt und sehr selbstsicher, war sich dessen bewusst und dachte sich wahrscheinlich, dass er sich alles erlauben kann. Er kam mit seinem Stuhl immer näher zu mir und flüsterte immer wieder in mein Ohr, um mich zu fragen, ob ich Spass habe und ob mir das Essen schmeckt, und immer wieder sprach er meinen Namen falsch aus. Ich blieb höflich und beantwortete seine Fragen kurz. Am Tisch sahen alle, was los war. Er erzählte davon, dass er oft flog und die Lippenstifte und Parfüms der Flugbegleiterinnen immer erkennen würde. Die Männer am Tisch lachten laut los. Er legte einmal den Arm um mich und sagte, dass ich gut roch und spuckte hin und wieder während des Redens. Es sahen alle zu und sagten nichts. Ich fühlte mich sehr unwohl und fehl am Platz. Ich bereue es bis heute, dass ich nichts gesagt oder gemacht habe damals. Heute weiss ich, dass es gar nicht okay war, was an diesem Abend passiert ist und ich besonders als minderjährige Auszubildende hätte geschützt werden müssen.
Elea
Gewalt ist für mich immer im Ausgang ein Thema. Ich selbst habe zum Glück nie physische Gewalt erlebt oder so. Ich habe aber oft beobachtet, wie Frauen in Clubs oder an Festivals auf irgendeine Art Gewalt erlebt haben. An ein Erlebnis erinnere ich mich vom letzten Jahr. Ich war mit Freunden auf dem Heimweg in der Nacht, nachdem wir in einem Club waren. Am Bahnhof sahen wir von Weitem bereits, dass eine Gruppe von Männern diskutierten mit einem Pärchen, glaube ich. Die junge Frau fing an zu schreien und ihr Begleiter stellte sich schützend vor sie, aber sie waren klar in der Unterzahl und hatten sichtlich Angst. Dann beobachteten wir, wie ein paar Jugendliche sie packten und an die Wand drückten. Es waren zwar viele Leute am Bahnhof und sahen zu, reagierten aber nicht. Ich habe dann die Polizei informiert und diese waren schnell vor Ort, um für Deeskalation zu sorgen. Meine Freunde und ich hätten gerne mehr gemacht, aber wir hatten Angst, da man oft Geschichten hört über Teenager, die mit Messern unterwegs sind.